Andernach/Rhein (Rheinland-Pfalz)
Das linksrheinisch, gegenüber von Neuwied gelegene Andernach ist eine Stadt mit derzeit ca. 30.000 Einwohnern im Landkreis Mayen-Koblenz im nördlichen Rheinland-Pfalz (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Mayen-Koblenz', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ansicht von Andernach - Stich M. Merian, um 1645 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Nach Berichten des umherreisenden spanischen Juden Benjamin von Tudela soll es bereits im 12.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde in Andernach gegeben haben. Vermutlich lebten die Juden Andernachs - sie standen unter dem Schutz des Kölner Erzbischofs - im Bereich der Kramgasse, unweit des Marktes; hier soll sich auch ihr gemeindliches Zentrum mit Synagoge, Mikwe und eigenem Backhaus befunden haben; ein Friedhof - heute nicht mehr lokalisierbar - wird aber erst 1334 erstmals erwähnt. Während eines Pogroms - der Anlass war ein angeblicher Ritualmord in Oberwesel gewesen -, der zur vorübergehenden Vertreibung der Andernacher Juden führte, wurde die Synagoge 1287 zerstört. Bei den sog. „Armleder-Verfolgungen“ der Jahre 1336/1337 kamen auch Juden aus Andernach ums Leben; ein Jahrzehnt später besiegelte die große Verfolgungswelle im Zusammenhang der Pestepidemie das Schicksal der jüdischen Ortsbewohner. Nach Vernichtung der Judengemeinde im Jahr 1349 kam der Stadtrat in den Besitz des Geländes des jüdischen „Ghettos“ an der Hochstraße/Ecke Kramgasse.
In der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts bildete sich erneut eine kleine jüdische Gemeinde; ihre Angehörigen, etwa fünf bis zehn Familien, waren zumeist aus dem Kölner Raum zugewandert und machten sich in der „Judengasse“ - nahe dem Burgtor zwischen Schreibers- und Morsgasse - ansässig. Sie waren im Geldhandel tätig und stützten den Haushalt der Kleinstadt mit ihren Krediten. Ab dem beginnenden 15.Jahrhundert wanderten auf Druck der Stadtbevölkerung jüdische Familien aus Andernach ab; um 1450 war die einst blühende jüdische Gemeinde verschwunden. Ab dem 16.Jahrhundert lebten zeitweise einige jüdische Wein- und Viehhändler hier. Ein kurfürstliches Verbot beendete aber bald darauf erneut das jüdische Leben in Andernach; die vertriebenen Familien ließen sich in Dörfern des Umlandes nieder. Erst gegen Mitte des 19.Jahrhunderts siedelten sich wieder wenige jüdische Bewohner dauerhaft in der Kleinstadt an; Grund hierfür war der durch Industrieansiedlung ausgelöste wirtschaftliche Aufschwung. Die jüdischen Neubürger bestritten als Getreidehändler und Metzger ihren Lebensunterhalt. Als sich um 1865 die kleinen jüdischen Landgemeinden (Kruft, Nickenich, Miesenheim und Saffig) zur „Synagogengemeinschaft Andernach“ zusammenschlossen, stieg die Zahl der Gemeindemitglieder deutlich an, sodass man in einem angekauften Gebäude einen größeren Betsaal einzurichten begann, der ab 1892 in der Bürresheimer Gasse zur Verfügung stand. Inzwischen hatte sich die aus den kleinen Landgemeinden gebildete Synagogengemeinschaft aufgelöst und 1889/1890 war die neue Kultusgemeinde Andernach gegründet worden.
Anzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 29.3.1882, vom 17.11.1887 und vom 11.10.1898
1932/1933 wurde an der Ecke Moltkestraße/Güntherstraße eine neue Synagoge gebaut, die Ende Mai 1933 (!) eingeweiht wurde. In einer Kurzmeldung der „Andernacher Volkszeitung” vom 2.6.1933 hieß es dazu: „Die Weihe der neuen Synagoge fand am Dienstag abend in aller Stille im Beisein der jüdischen Bevölkerung statt.“
In den 1870er Jahren erhielt die jüdische Gemeinde auf dem kommunalen Friedhof ein separates Begräbnisgelände zugewiesen; in den Jahren zuvor waren Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof in Miesenheim beerdigt worden.
Juden in Andernach:
--- 1858 ............................ 9 Juden,
--- 1871 ............................ 53 “ ,
--- 1895 ............................ 111 “ ,*
--- 1925 ............................ 141 “ ,* * Jüd. Gemeinde
--- 1933 ............................ 135 “ ,*
--- 1938 (Dez.) ..................... 34 “ ,*
--- 1940 (Febr.) .................... 20 “ ,
--- 1941 (Sept.) .................... 14 “ ,
--- 1942 (Dez.) ..................... keine.
Angaben aus: Franz-Josef Heyen (Hrg.), Andernach - Geschichte einer rheinischen Stadt, S. 263
Kleinanzeigen jüdischer Gewerbetreibender (1901)
Wie überall in Deutschland machte auch vor den Juden in Andernach die Diffamierung und Diskriminierung nicht halt; innerhalb von nur fünf Jahren verließen die allermeisten Juden die Stadt.
In der Pogromnacht fiel die erst im Mai 1933 fertiggestellte Synagoge der Brandstiftung durch Nationalsozialisten zum Opfer; das Gebäude wurde einige Monate später abgebrochen.
Zerstörte Andernacher Synagoge (Aufn. 1939, Stadtarchiv)
Kurz vor Kriegsbeginn lebten noch ca. 35 jüdische Bewohner in der Stadt. Mitte Februar 1940 berichtete die „Andernacher Volkszeitung”, dass sich „nur noch 20 Juden“ in Andernach aufhielten. Das Schicksal der letzten Andernacher Juden liegt im Dunkeln; sie wurden 1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 41 gebürtige bzw. länger am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Andernachs Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/andernach_synagoge.htm).
Am Standort der einstigen Synagoge in der Moltkestraße wurde eine Gedenktafel mit folgender Inschrift angebracht:
Haben wir nicht alle einen Vater, hat nicht ein Gott uns geschaffen.
Zum Gedenken an die am 9.November 1938 zerstörte Synagoge und an unsere jüdischen Mitbürger.
Eine weitere Gedenktafel befindet sich am Eingangsbereich des städtischen Friedhofs:
Den Lebenden zur Mahnung !
Unseren jüdischen Mitbürgern zum Gedenken,
die durch staatliche Gewaltherrschaft in den Jahren 1933 - 1945 verfolgt, gepeinigt und gemordet wurden.
Auf dem ca. 1.300 m² großen, direkt neben dem Kommunalfriedhof liegenden jüdischen Begräbnisgelände findet man heute ca. 75 Grabsteine.
Eingangstor und Doppel-Grabstätte (beide Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Ein alter, bereits um 1335 urkundlich erwähnter jüdischer Friedhof in Andernach ist heute nicht mehr lokalisierbar.
Seit 2008 beteiligt sich auch Andernach am sog. „Stolperstein“-Projekt; so wurden z.B. vor dem Eingang des Kurfürst-Salentin-Gymnasiums zehn Steine verlegt, die die Erinnerung an ehemalige Schüler jüdischen Glaubens wach halten sollen, die diese Schule besucht hatten.
verlegt in der Friedrichstraße, im Kirchgässchen, Wilhelmstraße und Hochstraße (Aufn. Gmbo, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)
Eine Anfang des 14.Jahrhunderts erbaute Mikwe ist eine der wenigen „Judenbäder“ dieser Art, die bis heute erhalten geblieben sind. Die elf Meter tiefe Anlage befindet sich unter dem Rathausgebäude und ist eine der wenigen jüdischen Ritualbäder, die in Deutschland aus dem Mittelalter erhalten sind. Sie besitzt zwei Geschosse, die über eine um einen Schacht laufende Wendeltreppe erreicht werden; wegen der wechselnden Grundwasserstände waren die beiden Geschosse notwendig gewesen. Ein in drei Sprachen abgefasster kurzer Text am Rathausgebäude informiert über die Mikwe.
In Miesenheim - heute ein Ortsteil von Andernach - liegen erste Nachweise jüdischer Ansiedlung erst für das beginnende 19.Jahrhundert vor. Die winzige Gemeinde erreichte um 1840 mit ca. 50 Mitgliedern ihren höchsten Stand. In den 1840er Jahren wurde in der Bachstraße ein Bethaus eingeweiht.
Synagoge in Miesenheim (hist. Aufn., Ausschnittsvergrößerung)
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte zudem ein Beerdigungsgelände südwestlich des Dorfes (in der Flur im "Deyert"); auf dem als Verbandsfriedhof geführten Areal fanden auch Verstorbene aus Plaidt und Saffig ihre letzte Ruhe.
Um 1900 lebten hier nur ca. 15 Juden. Das schon längere Zeit baufällige Synagogengebäude wurde Mitte der 1920er Jahre verkauft und anschließend abgerissen.
Nach Angaben des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurde eine aus Miesenheim stammende Jüdin Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Person siehe: alemannia-judaica.de/miesenheim_synagoge.htm).
Heute erinnert das ca. 800 m² große Begräbnisgelände mit seinen ca. 65 Grabsteinen an die jüdische Geschichte der Region.
jüdischer Friedhof Saffig/Miesenheim (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Nickenich - heute Teil der Verbandsgemeinde Pellenz - gab es im 19.Jahrhundert eine sehr kleine Gemeinde, die zum Synagogenbezirk Andernach gehörte; um 1850 gehörten ihr knapp 50 Angehörige an. Neben einer Betstube gehörte auch ein Friedhof zu den gemeindlichen Einrichtungen. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Nickenich noch zehn jüdische Bewohner.
Eine weitere Kleinstgemeinde bestand in Kruft; deren Wurzeln reichen zurück bis ins 16.Jahrhundert. Ab dem 17.Jahrhundert sollen hier dauerhaft einige jüdische Familien ansässig gewesen sein; wirtschaftliche Verbindungen zur Abtei des Klosters Maria Laach lassen sich nachweisen. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts zählten maximal 60 Personen zur Gemeinde Kruft. Seit ca. 1800 gab es in Kruft einen jüdischen Friedhof. Eine Synagoge muss hier aber bereits im 18.Jahrhundert bestanden haben. Zu Beginn der NS-Zeit lebten im Ort noch ca. 20 Bewohner mosaischen Glaubens. Nachweislich fanden sieben gebürtige Krufter Juden einen gewaltsamen Tod in den Vernichtungslagern.
vgl. Mendig/Eifel (Rheinland-Pfalz)
Weitere Informationen:
Paul Michels, Das Judenbad in Andernach, in: "Die Denkmalspflege", No.11/1909, S. 43 – 45
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 14 – 17 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 18 - 22
Hans Hunder/u.a. (Bearb), Documenta Judaica - Ausstellungskatalog, Hrg. Stadt Andernach 1969
Archiv der Stadt Andernach (Hrg.), documenta judaica, Andernach 1984
Bertram Resmini, Juden in Andernach, in: F.J. Heyen (Hrg.), 2000 Jahre Andernach - Geschichte einer rheinischen Stadt, Andernach 1988, S. 79 - 86
Franz-Josef Heyen (Hrg.), Andernach - Geschichte einer rheinischen Stadt, Andernach 1988, S. 262 - 267
Klaus Schäfer (Bearb.), Die Andernacher Juden im Mittelalter. Begleitheft zur Sonderausstellung im Stadtmuseum, Hrg. Stadt Andernach, Andernach 1990
Udo Liessem, Bemerkungen zu Synagoge und Mikwe im mittelalterlichen Andernach, in: Stadtmuseum Andernach (Hrg.), Die Andernacher Juden im Mittelalter, Begleitheft zur Sonderausstellung im Stadtmuseum, Andernach, Okt/Dez. 1990, S. 35 – 61
L.Heid/J.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Rheinland, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1992, S. 32 f.
Dan Z. Bondy/Martin Roggatz, Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Miesenheim, in: "SACHOR. Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", 6. Jg., Ausgabe 2/96, Heft Nr. 12, S. 65 - 72
Wolfgang P.Fischer, Jüdische Schüler an der Andernacher Hans-Schemm-Schule (1935 - 1942), in: "Andernacher Annalen", No. 2/1996, S. 91 - 97
Martin Roggatz, Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Miesenheim, in: "Andernacher Annalen", No. 2/1997, S. 55 - 76
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels” Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, Mainz 2005, S. 78 – 81
Andernach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Miesenheim, in: alemannia-judaica.de
Nickenich, in: alemannia-judaica.de
Kruft, in: alemannia-judaica.de
Die jüdische Gemeinde in Miesenheim, in: Miesenheim im Wandel der Zeiten, hrg. vom Bürgerverein MiT - Miesenheim im Team e.V., Miesenheim 2009, S. 34/35
Peter Karges (Red.), Stolpersteine erinnern an jüdische Schüler, in: „Rhein-Zeitung“ vom 29.11.2011
Auflistung der in Andernach verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Andernach